Wie bekomme ich den Bernsteinblick?

Sie sehen schon leicht verrückt aus, wenn sie in voller Montur vor einem stehen. Mit Wathose oder hohen Gummistiefeln bekleidet, Stirnlampe am Kopf, …

... Schwarzlichtlampe in der Hand, Ersatzbatterien in der Tasche, Kescher, Harke und einem mit Wasser gefüllten Gefäß. Für Thomas Neumann und Katja Arnold ist dieser Aufzug aber völlig normal. „So gehen wir immer an den Strand“, scherzt der Wolgaster Pädagoge. Und damit sind sie nicht allein. Etliche andere tun es ihnen gleich. Immer dann, wenn die Zeit für Bernstein günstig ist. Dass es da manchmal schon 20 Uhr und draußen stockfinster ist, hält die Beiden nicht davon ab, sich auf die Suche nach dem heiß begehrten Ostseeschatz zu machen.

„Wenn du konzentriert und fokussiert suchst, merkst du nicht, ob es kalt oder dunkel ist“, erklärt Thomas, den das Bernsteinfieber seit knapp fünf Jahren nicht mehr loslässt. Schnell vergehen bei so einer Suche mal vier oder fünf Stunden wie im Flug. „Wenn du erst einmal angefangen hast, willst du gar nicht mehr aufhören. Das ist wie eine Sucht“, beschreibt er seine Leidenschaft. Und Katja Arnold aus Ückeritz fügt hinzu: „Für mich ist das Suchen wie eine Meditation. Die Welt um mich herum wird egal. Genauso wie das Handy. Und wenn man einen Bernstein findet, setzt es unglaubliche Glückshormone frei.“ Diese Glückshormone wünschen sich viele Menschen einmal.

Gerade jetzt in der kalten Jahreszeit, in der die Stürme meist aus Nord oder Nordost kommen, ist die beste Zeit, Bernstein zu finden. Denn dann ist das Meer kühler und dichter und sorgt beim federleichten Bernstein für Auftrieb. Vor allem bei oder nach einem Sturm ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Bernstein zu finden. Denn bei Sturm wird der Meeresboden ordentlich aufgewühlt. Das fördert die Schichten zutage, in denen das fossile Harz, der Bernstein, lagert. Beruhigt sich das Meer, wird der Stein bei anlandiger Strömung mit anderem Schwemmgut wie Treibholz, Algen, Tang und Muscheln an den Strand gespült. Dann lohnt es sich, durchs seichte Wasser zu waten und im Schlick oder im Tang nach dem Meeresgold zu suchen.

Die Bernsteinbäder liegen günstig. Oft befinden sie sich im Einflussbereich der anlandigen Strömungen. „Zwischen dem Bernsteinstrand in Stubbenfelde und der Steilküste in Ückeritz habe ich schon viele gefunden“, berichtet Katja stolz. Doch so große wie Thomas waren ihr bislang nicht vergönnt. „Ich habe lange auch nur kleinere gefunden. 13 Gramm wog mein schwerster. Bis zum ersten Herbststurm 2020“, erzählt er. Faustgroße Bernsteine hat er in dieser einen Nacht gefunden. 266 Gramm schwer war sein größter Fund. Dabei wollte er nur mal seine Wind- und Strömungs-App austesten.

Gerade mit einer Schwarzlichtlampe sei der Bernstein besonders gut auszumachen. Denn das Harz fluoresziert leicht. „Es ist spannend, was das Schwarzlicht alles sichtbar macht. Vor allem mit Kindern ist eine Nachtwanderung am Strand immer ein Erlebnis“, erzählt Katja, die selbst Mutter ist. Manche Algen würden feuerrot leuchten oder kleine Krebse und Plastikpartikel strahlen im UV-Licht giftgrün.

Für alle, die nachts doch lieber schlafen und die nicht mit großem Licht-Equipment ausgestattet sind, ist die Zeit zum Sonnenaufgang ideal. Denn durch die tief stehende Sonne leuchtet der Bernstein besonders schön. Ein Glas mit Wasser oder feuchtem Sand ist zum Sammeln am besten geeignet. Denn auch, wenn die beiden leidenschaftlichen Sammler noch nie ein Stück weißen Phosphor gefunden haben, steht für sie die Sicherheit beim Suchen an erster Stelle.

Die Beiden hocken barfuß über einem schwarz geäderten Spülsaum am Strand, fachsimpeln über Kescher und die besten UV-Lampen. Dass das Wasser der Ostsee gerade einmal ein paar Grad über Null hat, tangiert sie wenig. „Die alten und gewieften Sammler sagen, irgendwann kommt der Bernstein zu dir. Und plötzlich hast du den Bernsteinblick“, sagt Thomas. Er muss es seit seinem letzten, großen Sturm ja wissen.

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