Wenn in der Kirche großes Theater gemacht wird

Klassik am Meer

„Geiz ist für den Geizigen keine Plage, sondern ein Genuss“, ....

schrieb einst Jean-Baptiste Poquelin alias Molière. Wie gut, dass der Regisseur Jürgen Kern mit seinem Talent und seinem Ideenreichtum nicht geizte. Denn sonst gäbe es heute nicht alljährlich so wundervolle Theaterstücke in der altehrwürdigen Feldsteinkirche von Koserow zu erleben. Mit der Schauspielreihe „Klassik am Meer“ hat Jürgen Kern ein Format geschaffen, dass auf der Insel Usedom einzigartig ist.

Denn wo sonst wird schon in einer Kirche solch ein Theater gemacht. So richtiges Theater. Von großen, klassischen Dichtern geschriebenes Theater. Als der bekannte Regisseur Jürgen Kern 1998 zufällig bei einem Urlaubsspaziergang durch Koserow auf den damaligen Pfarrer Winfried Wenzel traf und die beiden ins Gespräch kamen, war die Idee von „Klassik am Meer“ geboren, großes Drama in der kleinen Kirche zu veranstalten. Oder anders ausgedrückt: Klassische Theaterstücke in der Kirche von Koserow aufzuführen.

Die Herausforderung für die Macher bestand darin, die Stücke den örtlichen Gegebenheiten so anzupassen, dass sie in eben jenem kleinen Altarraum genügend Raum für eine Aufführung fanden und dennoch nichts von ihrer Aussagekraft verlören. Dabei musste die Bühne vor jeder Vorstellung auf und hinterher gleich wieder abgebaut werden. Anfangs haben die Auf- und Abbauten die Schauspieler sogar noch selbst übernommen. Über die Jahre hat sich jedoch eine kleine Gruppe von Ehrenamtlichen zusammengefunden, die diese Arbeit mit Leidenschaft für das Theater übernimmt.

Das erste Stück, das im Sommer 1999 aufgeführt wurde, war der „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Wobei es beinahe gar keine Premiere gegeben hätte. Denn Andreas Schmidt-Schaller, der den Jedermann spielte, stand kurz vor Beginn der Vorstellung noch im Stau zwischen Berlin und Koserow. Aber dem findigen Schauspieler kam während des Wartens zwischen all den Blechlawinen eine geniale Idee. Kurzerhand bog er in Anklam ab und fuhr schnurstracks zum dortigen Flugplatz, wo er sich einen Helikopter auslieh und just eine halbe Stunde vor Premierenbeginn auf der Schafswiese gegenüber vom Koserower Pfarrhaus landete. Was für ein Auftritt!

Auf die erste Inszenierung folgten weitere: Goethes „Faust“, Schillers „Kabale und Liebe“, Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ und auch seine „Physiker“, Becketts „Warten auf Godot“. Allesamt Klassiker der Weltliteratur. Über 25 Jahre wurde gelacht und geweint, aber immer großartig inszeniert. Mit bekannten Fernsehschauspielern obendrein. Ob Andreas Schmidt-Schaller, Wolfgang Winkler, Franziska Troegner, Jürgen Zartmann oder wie in diesem Jahr wieder in den Hauptrollen: Peter Bause und Hellena Büttner. Die Akteure waren und sind absolute Publikumsmagneten. Dabei scheuen sich die Theatermacher nicht, klare politische Statements zu setzen wie mit der letztjährigen Groteske „Mein Kampf“ von George Tabori.

Im 25. „Klassik am Meer“-Sommer steht neben dem „Geizigen“ von Molière Ringelnatz as its best auf dem Programm. Und nachdem die Reihe wegen der Sanierung der Kirche zweimal in das Strandhotel Seerose nach Kölpinsee ausweichen musste, kehrt sie auf vielfachen Wunsch nun zu ihren Wurzeln zurück. Dorthin, wo Geschichte und Geschichten aufeinandertreffen und die Inszenierung des Glaubens und des Lebens einträchtig Hand in Hand gehen.

In der Koserower Kirche haben sich zwei gefunden, die schlichtweh perfekt zusammenpassen. Schließlich ist die kleine Kirche im Dorfkern von Koserow fast so alt wie das Theaterspiel selbst. Es ist übrigens das älteste Gotteshaus an der Usedomer Außenküste und die einzige Kirche in den Bernsteinbädern. Aus Feld- und Backsteinen gebaut, kann sie auf eine 800-jährige Geschichte zurückblicken. Der Flügelaltar, vor dem die Theaterstücke stattfinden, wurde im 15. Jahrhundert in einer Stralsunder Werkstatt erschaffen. Wer offenen Auges durch das Kircheninnere geht, kann ein von der Decke hängendes, sogenanntes Votivschiff entdecken. Es wurde von Ückeritzer Fischern nach einer Rettung aus Seenot gestiftet. Über die Inselgrenzen hinaus bekannt geworden, ist die kleine Feldsteinkirche durch den Roman „Die Bernsteinhexe“ des Koserower Pastors Wilhelm Meinhold aus dem Jahre 1843.

Über ein Jahr lang wurde das alte Gemäuer, dem die Jahrhunderte mit mächtigen Alterserscheinungen zugesetzt hatten, umfangreich saniert. Im Juni 2023 konnte sie feierlich wieder eröffnet werden. Doch nicht nur baulich hat die kleine Kirche viele besondere Geschichten zu erzählen, auch das Leben, das in ihr stattfindet, bietet reichlich Gesprächsstoff. Ob Lesungen verschiedener Autoren, die Konzerte des Usedomer Kantatenchores oder eben die „Klassik am Meer“ – irgendjemand macht hier immer großes Theater.

Eintrittskarten für die Theaterstücke von Klassik am Meer erhalten Sie in den Touristinformationen der Bernsteinbäder Zempin, Koserow, Loddin und Ückeritz sowie auf www.reservix.de und in weiteren bekannten Vorverkaufsstellen.

Weitere Informationen zu den diesjährigen Aufführungen finden Sie hier...

Text: Sandra Grüning – Textwerkstatt Küstenkind Fotos: Klassik am Meer & Henry Böhm – Usedomgalerie

Weitere Blog-Beiträge