Immer wieder klagt der arme Fischer dem magischen Butt sein Leid und erhält dafür Königs-, Kaiser- und sogar den Papsttitel für seine unzufriedene Frau. Doch als die auch noch gottgleich sein möchte, ist für den verzauberten Plattfisch Schluss. Am Ende sitzt das Ehepaar wieder wie am Anfang der Geschichte in seinem alten Pott dicht an de See.
Das so niedlich klingende Klagelied des Fischers weckt Kindheitserinnerungen. Nach dicken Büchern und spannenden Märchen. De Fischer un sine Fru: Die Gebrüder Grimm haben die plattdeutsche Geschichte um den armen Fischer und seine gierige Frau in ihren Hausmärchen veröffentlicht. Doch ursprünglich stammt das Märchen vom Wolgaster Maler Philipp Otto Runge. Und es spielt – wie könnte es anders sein – natürlich auf der Insel Usedom. Denn hier wurde und wird bis heute fleißig Plattdeutsch gesprochen. Plattdeutsch gehört zu Usedom wie der Fisch und die Kutter.
Vor allem die Kinder in den Bernsteinbädern sind ganz begierig darauf, die alte Sprache neu zu lernen. In der Schule und in der Theater-AG von Mandy Schmuggerow können sie ihre erworbenen Kenntnisse direktemang anwenden. Die Usedomerin ist Erziehungswissenschaftlerin und bringt den Kindern mit viel Spaß und Spielfreude die Niederdeutsche Sprache näher. In diesem Jahr haben sich die 16 Kinder gleich zwei plattdeutsche Stücke ausgesucht, die sie zur Aufführung bringen wollen: „De Fischer un sine Fru“ und „Hänsel und Gretel“.
Noch stehen sie bei den Proben ganz am Anfang. Doch in einem halben Jahr wollen sie ihr plattdeutsches Theaterkönnen zum Kinderfest im Forsthaus Damerow auf die Bühne bringen. „Ich hoffe, wir lernen viel und sind ein tolles Team“, sagt die neunjährige Lotti. „Und wir haben Spaß“, sagt die gleichaltrige Isabella. In Pose werfen, das können die drei Mädels, die sich die Rolle der Fischersfrau teilen, zumindest schon mal sehr gut. Und dass während der Proben auch ordentlich auf Platt diskutiert wird, gehört ebenfalls dazu. Denn die beiden Stücke erarbeiten sich die Kinder selbst. Vor allem über das Ende des Fischermärchens sind sich die kleinen Schauspieler noch nicht ganz einig. „De Fru weit dat se övertrieben hät“, ist da beispielweise zu hören.
Für diejenigen, die so gar kein Plattdeutsch sprechen, klingt das ungewohnt, aber auch unglaublich niedlich. „Wenn ich mich mit Freunden zu Hause auf Platt unterhalte, verstehen meine Eltern nichts. Das ist unsere Geheimsprache“, freut sich die achtjährige Carlotta. Denn nur in sehr wenigen Haushalten wird auf der Insel Plattdeutsch gesprochen. „Vor allem die Älteren sprechen es noch“, erzählt der Loddiner Ortschronist Ulrich Knöfel. Als zugezogener Randberliner hatte er sich die Plattdeutsche Sprache ab der 8. Klasse selbst beigebracht. „Damals haben viele in der Schule Plattdeutsch gesprochen. So habe ich es schnell gelernt“, erzählt er. Aber die Sprache werde leider nicht mehr so weitergegeben wie früher. Es gab sogar eine Zeit, erklärt Mandy Schmuggerow, in der es absolut verpönt war, Plattdeutsch zu reden. „Weil es als ungebildet angesehen wurde“, sagt sie
Aber das alte Niederdeutsch, das den Sprung ins Hochdeutsche nicht mitgemacht hat und früher in ganz Norddeutschland bis hinunter nach Mitteldeutschland gesprochen wurde, bekommt wieder ein wenig Aufwind. Sogar das Schulgesetz fördert das Verständnis für die Niederdeutsche Sprache. Und so kommt es, dass neben den Senioren inzwischen auch einige Usedomer Kinder wieder up Platt schnacken – wie man auf Plattdeutsch sagt. Und wer das ein wenig beherrscht, hat in den alten Fischerdörfern der Inselmitte schnell einen Stein im Brett bei den Einheimischen. Davon kann der Gastronom Michael Bartelt ein Lied singen. Wenn ein Gast Niederdeutsch spricht, kommt er schnell mit ihm ins Gespräch. „Man ist sich gleich viel vertrauter, hat einen Draht zueinander“, sagt er.
Michael Bartelt ist zudem Vorsitzender des Ückeritzer Heimatvereins und Plattdütsche Runn. Darin wird noch oft Plattdeutsch gesprochen. „Die Begrüßung beim Geburtstagskaffee wird immer auf Platt gehalten“, erklärt er, „auch wenn viele Neu-Ückeritzer das nicht verstehen.“
Auch in anderen Vereinen, die sich der Pflege des Niederdeutschen angenommen haben, wird noch ordentlich up Platt vertellt. „Und gesungen“, weiß Reinhard Lehmann von der Plattdeutschen Gruppe in Zempin. Allerdings kämpft die, wie viele andere Vereine, um Nachwuchs. So suchen sie derzeit dringend jemanden, der Akkordeon spielen und sie beim Singen begleiten kann.

Wer mit offenen Augen durch die Bernsteinbäder spaziert, kann noch einiges an Plattdeutschem antreffen. Der Loddiner Ortsteil Stubbenfelde beispielsweise kommt aus dem Plattdeutschen. Stubben sind Baumstümpfe. Denn dort, wo sich heute Stubbenfelde befindet, war früher ein ausgedehnter Wald, der für die Urbarmachung abgeholzt wurde, so dass auf dem entstandenen Feld nur noch Baumstümpfe übrigblieben.
Einige Straßennamen tragen ebenfalls noch plattdeutsche Bezeichnungen, aber auch Häuser wie das Restaurant „Waterblick“ in Loddin oder das Heimatmuseum „Uns olle Schaul“ in Zempin. Ebenso findet man beim Spaziergang durch die Bernsteinbäder einige private Häuser, die noch ihre plattdeutschen Namen besitzen wie in Kölpinsee das Haus „An de Waterkant“ oder in Loddin die „Olle Dörpschool“, in der früher tatsächlich die Dorfschule untergebracht war.
In der unterschiedlichen Schreibweise der beiden alten Schulen zeigt sich, dass, laut Ulrich Knöfel, beinahe jedes Bernsteinbad seinen eigenen niederdeutschen Dialekt besitzt. „Während man in Loddin ein O als O spricht, macht man im Nachbarort Ückeritz aus dem O ein A. Man sagt dort also statt soll sall“, erzählt der Chronist.
Doch zurück zum jungen Plattdeutschnachwuchs in den Bernsteinbädern. Der fragt mich in der Theater-AG nicht nur munter up Pladdütsch aus, sondern ich lerne auch, dass das Plattdeutsche beileibe keine tote Sprache ist. Auch hier gibt es immer wieder Modernisierungen und neue Wortschöpfungen. Die gern gebrauchte Begrüßung Moin zum Beispiel wurde erst in jüngerer Zeit aus dem friesischen Platt in das vorpommersche Platt übernommen. „Hier sagt man Tach oder Gauden Tach“, erklärt mir Carlotta. „Oder es gibt Neuschöpfungen wie Ackerschnacker für das Smartphone, Klappräkner für den Laptop oder Plüschmors für die Biene“, zählt Theater-AG-Leiterin Mandy Schmuggerow auf. „Und solange wir so viel Spaß beim Platt schnacken haben, wird das bestimmt immer benutzt“, ist Isabella, die beim „Fischer un sine Fru“ den Erzähler spielt, überzeugt.
Text: Sandra Grüning – Textwerkstatt Küstenkind
Fotos: Sandra Grüning und Henry Böhm – Usedomgalerie