Weihnachten in den Bernsteinbädern

„Früher war mehr Lametta.“

„Früher war mehr Lametta“, sagt Reinhard Nadrowitz und lacht. Der Koserower liebt die glitzernden Metallstreifen, denn er ist mit ihnen groß geworden. Je mehr, umso besser. Aber seiner Frau Helga zuliebe verzichtet er auf das Glitzern. Sie mag es eher klassisch. Mit roten Kugeln oder roten Schleifen, aber auf jeden Fall mit Strohsternen.

Der Christbaum – natürlich darf er auch in den vier Bernsteinbädern an Weihnachten nicht fehlen. Wenn er am Heiligen Abend festlich geschmückt im Lichterglanz erstrahlt, wird es einem ganz warm ums Herz. Überhaupt gehören in der Inselmitte zur Advents- und Weihnachtszeit Kerzen und Lichter unbedingt dazu. Wenn es drinnen in den Häusern gemütlich und kuschelig wird, Kerzenlicht und Plätzchenduft die Zimmer erfüllt, ist die weihnachtliche Vorfreude doch erst perfekt.

Draußen weht dagegen im Dezember oft der kalte Nordost ums Haus, wirft die Ostsee in tosenden Wellen an den Strand. Dick in Mantel und Schal gehüllt, die Mütze bis tief in die Stirn gezogen, macht ein Spaziergang über die Promenaden der vier Seebäder dennoch Spaß. Denn überall glitzert und funkelt es. Das Inselglitzern erleuchtet auch in diesem Jahr die Bernsteinbäder mit tausenden LED-Lichtern. Lichterbögen, riesige, glitzernde Geschenke, Christbaumkugeln, Figuren, Tiere und vieles mehr illuminieren die Promenaden und Konzertmuscheln und zaubern Vorfreude auf das baldige Christfest. Und selbstverständlich steht auch in Zempin, Koserow, Loddin und Ückeritz ein funkelnder Weihnachtsbaum.

Wie im vorigen Jahr sind außerdem in jedem Bernsteinbad überlebensgroße Leuchtbuchstaben zu finden. An der ganzen Inselküste entlang, sind sie an zentralen Orten aufgestellt. Zusammengesetzt ergeben sie das Wort „Usedom“. Und wer sie alle entdeckt, fotografiert und eine Collage der Bilder an info@usedom.de schickt, hat sogar die Chance, etwas zu gewinnen.

„Angemacht wird der Baum bei uns aber erst am Heiligen Abend. So ist es Tradition“, sagt Helga Nadrowitz. Überhaupt sind sich die Bewohner der Bernsteinbäder in den Weihnachtsbräuchen recht einig. Kartoffelsalat und Wiener Würstchen kommt bei den meisten am Weihnachtsabend auf den Tisch. Bei manchen darf es zusätzlich auch Bouletten geben.

Selbst bei Familie Dressel, die eigentlich gern nach schwedischer Tradition feiert, darf der Kartoffelsalat nicht fehlen. Er würde sich mit den schwedischen Köttbullar wunderbar ergänzen. Bei Liane Schmidt gibt’s an Heiligabend mittags – und das ist ein Muss – Linsensuppe. „Damit man im nächsten Jahr keinen Mangel an Kleingeld hat“, scherzt sie. Sechs Liter habe sie im vergangenen Jahr mit ihrer Familie gegessen.

Überhaupt haben auch auf der Insel inzwischen Bräuche aus unterschiedlichen Regionen Fuß gefasst. Bei Ingeborg Biedenweg, die ursprünglich aus dem Riesengebirge kommt, gehört am Weihnachtsabend neben dem obligatorischen Kartoffelsalat auf jeden Fall eine süße Pflaumensuppe mit Neunerlei dazu.

„Ho, ho, ho. Kannst du mir denn etwas aufsagen?“, brummt die tiefe Stimme des Mannes im roten Mantel mit dem großen Rauschebart, der auf der Koserower Seebrücke mit einem großen Geschenkesack darauf wartet, dass die Kinder ihm ein Ständchen bringen oder ihm ein Gedicht aufsagen. Es ist der Heilige Abend, 14 Uhr, und die Vineta-Glocken auf dem Seebrückenkopf haben gerade geläutet. „Wenn die Kinder sich freuen, macht mich das glücklich“, flüstert der Weihnachtsmann, der jenseits des Weihnachtsfestes unter dem Pseudonym Frank Buch lebt und heimlich im Bauhof der Gemeinde Koserow arbeitet.

Für viele Zempiner, Koserower, Loddiner und Ückeritzer hat jedoch der Kirchgang am Heiligen Abend eine noch viele längere Tradition als der Weihnachtsmann. Da es in den vier Bädern nur eine Kirche gibt, platzt das kleine Gotteshaus aus Feldsteinen, das in Koserow steht, an diesem Abend in der Regel aus allen Nähten. Im vergangenen Jahr wurde die Kirche saniert und es konnte keine Christvesper darin stattfinden. Darum freuen sich die Inselkinder in diesem Jahr ganz besonders darauf, das Krippenspiel wieder am altehrwürdigen Ort sehen zu können.

„Jeder Mensch zählt“, heißt das dieses Mal und neben dem Christuskind werden die Hirten darin eine tragende Rolle spielen. Die Mitwirkenden – die zwischen 5 und 56 Jahren alt sind – freuen sich schon auf ein volles Kirchenhaus. Um 16 Uhr macht sich die schwangere Maria mit ihrem Mann auf die beschwerliche Reise nach Bethlehem.

„Danach gibt es Bescherung“, freut sich Gisela Springer, die früher immer mit ihrer Mutter einen weiten Fußweg bis in die Kirche hatte auf sich nehmen müssen, während ihr Vater zu Hause den Christbaum geschmückt und den Kartoffelsalat vorbereitet hat. Und nach der Bescherung ist vor dem Festessen. Denn am 1. Weihnachtstag gibt es in den Bernsteinbädern ebenfalls eine Tradition: Ente – wahlweise Gans – mit Rotkohl. „Was anderes kommt bei uns nicht auf den Tisch“, sagt Liane Schmidt.

Doch nicht nur an Weihnachten gibt es in den Bernsteinbädern schöne Traditionen. Auch der Jahreswechsel wird in der Inselmitte gebührend gefeiert. Humorvoll geht es dabei in Zempin zu. Denn das kleinste Bernsteinbad lädt zum „Heiteren Jahresausklang“ ein. Ab 18 Uhr geht’s am 30. Dezember im Dörps-Treff mit dem „Taxi Heidi“ in die entlegensten Lachwinkel.

Steht dann das Abendessen an, ist ein Gericht bei vielen Insulanern fester Brauch: Karpfen blau. „Gekocht mit Holundergelee. So hat es schon Oma gemacht“, schwärmt Brunhilde Luckow aus Koserow, „um Mitternacht gibt‘s einen kleinen Schluck und natürlich das Feuerwerk.“ So will es die Tradition.

Familien können allerdings schon am Nachmittag Feuerwerke erleben. Sie können in Zempin schon um 17 Uhr auf dem Kurplatz und in Koserow um 18 Uhr auf dem Seebrückenvorplatz Pyrotechnik vom Feinsten bestaunen, während Ückeritz und Loddin das neue Jahr um Mitternacht mit einem großen Höhenfeuerwerk begrüßen. Loddin lädt am letzten Abend im Jahr schon ab 21 Uhr auf den Promenadenplatz zur großen Silvesterparty mit DJ ein. So lässt sich das alte Jahr mit viel Fröhlichkeit verabschieden. Damit das Neue mit vielen Wünschen und so manch gutem Vorsatz beginnen kann.

Was man sich allerdings weder vornehmen noch kaufen kann, ist die Zeit, all diese schönen Momente der Advents- und Weihnachtszeit auch zu genießen. Die können wir uns nur nehmen und sie verschenken. Zum Beispiel an die Menschen, die uns am Herzen liegen.

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