Strandkörbe in den Bernsteinbädern

Ein urgemütliches Zuhause am Strand

Er ist nicht einfach nur Kult. Er ist eine Ikone, steht für Nostalgie und das Heute gleichermaßen. Er ist der Inbegriff für die „German Gemütlichkeit“: Der Strandkorb.

Was wären die Usedomer Strände ohne jenes Kultobjekt? Doch irgendwie nackt und viel zu breit. Das sperrige Polstermöbel kleidet die Strände ausnehmend gut in bunte Nadelstreifen. Hineinkuscheln und die Welt einfach einmal draußen lassen. Im Strandkorb gelingt das wie nirgends sonst. Denn dank der geflochtenen Seitenwände ist der Sonnenhungrige außen vor von allem, was den Alltag sonst vermiest. In ihm haben Mann und Frau die Muße zum Lesen, Dösen, Handydaddeln. Und der sandburgenbauende Nachwuchs ist stets bestens im Blick. Kurzum, das geflochtene Sitzmöbel ist wie ein Minizuhause in 1A Lage direkt am Meer, ein versteckter Rückzugsort inmitten des Sommersonnenstrandgewusels.

Die ältesten Vorfahren unseres liebsten Strandmöbels sind wahrlich schon sehr betagt. Denn sie stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert. Von Hamburg bis in die Niederlande hatte man sich in zugigen Bürgerhäusern mittels dreiseitig geflochtener Korbstühle mit Dach gegen das Raumklima zur Wehr zu setzen versucht. Erst sehr viel später setzte man den Weidensessel an die frische Luft.

Als Erfinder des Strandkorbes gilt der Rostocker Hof-Korbmacher Wilhelm Bartelmann. Auf Wunsch einer adligen Dame, Elfriede von Maltzahn, baute er 1882 den ersten. Jene Elfriede litt an Rheuma, wollte aber trotz Wind und Sandflug partout nicht auf den geliebten Meerblick verzichten. Zunächst als überdimensionaler Wäschekorb belächelt, sorgte er doch für jede Menge Nachfrage, so dass Bartelmann nachbauen musste. Seinen simplen Einsitzer entwickelte er schnell zu einem Zweisitzer mit Fußstützen und Klapptischchen weiter.

Binnen weniger Jahre standen sie an allen Stränden der Ostseeküste und natürlich auch in den vier Bernsteinbädern. Die Tradition der Strandkorbvermieter ist in den Bernsteinbädern fast genauso alt wie der Strandkorb selbst, wird praktisch von Generation zu Generation weitergegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass in Koserow, Zempin, Kölpinsee und Ückeritz das Vermieten von Strandmöbeln schon seit fast 100 Jahren in Familienhänden liegt.

Der Zempiner und Ückeritzer Strandkorbverleih von Robert Bartelt wird bereits in der vierten Generation betrieben. Genauso wie die Kölpinseer Vermietung von Matthias Hengstler. Beide berufen sich auf ihren Urgroßvater Richard Labahn, der um die 1930er Jahre mit dem Vermieten von Strandkörben begonnen habe. Hierbei handelt es sich aber nicht etwa um ein und dieselbe Person. Der Name Labahn ist auf Usedom so häufig anzutreffen, dass es beinahe in jedem Dorf einen Richard Labahn gab oder gibt.

„Mein Urgroßvater war noch hauptberuflich Fischer und hat nur nebenbei Strandkörbe verliehen. Als dann immer mehr Urlauber kamen, kehrte sich das Verhältnis um“, erzählt Matthias Hengstler. Lange hätte sein Opa noch im Sommer neben den Sonnenanbetern am Strand die Netze ausgepuhlt.

Mit der Zeit sind die Körbe immer schnieker, komfortabler und vor allem größer geworden. In den Manufakturen auf der Insel Usedom sind den Gestaltungs- und Ausstattungsfantasien heutzutage keine Grenzen gesetzt. Dem Geldbeutel auch nicht. „Manche Gäste fragen uns sogar, ob wir auch Strandkörbe mit Sitz- und Rückenheizung hätten“, erzählt Hengstler. Da die Strandkorbvermieter in den Bernsteinbädern mit der Zeit gehen, können ihre Körbe mittlerweile auch online über den Strandbutler gemietet werden. Die Schlösser an den Körben sind elektrisch und lassen sich dann mittels des zugeschickten Codes öffnen.

Neben der geschwungenen Ostseeform und der etwas kantigeren Nordseeform als Zweisitzer fertigen die fleißigen Flechter, Näher, Polsterer und Schreiner in den Manufakturen auch XL und XXL-Körbe, in denen locker eine ganze Familie Platz findet. Einer der ersten, der sich einen XXL-Korb als Dreieinhalbsitzer selbst baute, war die Ückeritzer Vermieterfamilie von Robert Bartelt. „Modell Ostseestrand hieß er bei uns und war der Renner. Er war geräumig, bot viel Platz. Als die Zahl der Strandkörbe dann allerdings so groß wurde, dass wir mit dem Selbstbauen nicht mehr hinterherkamen und unsere Strandkörbe dann von der Bugenhagen-Werkstatt in Heringsdorf haben bauen lassen, haben sie dort die Idee vom Dreisitzer übernommen“, freut sich der Ückeritzer Strandkorbvermieter.

Doch selbst der in der DDR gefertigte Zweisitzer Typ Platte aus Spanplatten und Phenolharz, der heute fast gänzlich von den Stränden der Bernsteinbäder verschwunden ist, erfreut sich noch einiger Liebhaber. „Wir bekommen immer wieder Briefe, in denen explizit diese Strandkörbe schon für den nächsten Urlaub gebucht werden“, lacht die Vermieterfrau Tina Hengstler.

In ganz besonderen, ja einzigartigen Strandkörben können die Besucher der Koserower Seebrücke Platz nehmen. Sie wurden extra für die neue Seebrücke entworfen und von der Strandkorbfabrik Heringsdorf in Zusammenarbeit mit der Stahlbaufirma Lipka gebaut. „Jeder einzelne der neun drehbaren Korbsessel ist ein Unikat“, sagt die Geschäftsführerin Nicole Wetzel. Nachdem die Stahlkonstruktionen geliefert wurden, haben die Flechter der Manufaktur die Sessel mit drei verschieden breiten Materialien umflochten. Übrigens hat die Frau des Ückeritzer Strandkorbverleihers Jörg Lewerenz sich fleißig an der Fertigung der Koserower Seebrückensessel beteiligt. Denn sie arbeitet in der Strandkorbfabrik. Insgesamt stecken in einem der Sessel etwa 27 Stunden Handarbeit.

Doch was passiert mit all den kuscheligen Strandmöbeln im Winter?

Sie werden eingelagert. Matthias Hengstler kann sich noch gut daran erinnern, dass er als Kind ordentlich mitanpacken musste, wenn es hieß, die Körbe ins Winterquartier zu bringen. „Die Pferde meines Opas haben die Körbe über die Düne gezogen und ich musste von hinten schieben“, erzählt er. Ein Knochenjob, denn ein normaler Strandkorb wiegt um die 60 Kilogramm; ein XXL-Korb sogar um die 90.

Vielerorts werden die Körbe heute allerdings motorisiert vom Strand transportiert und in den Winterschlaf geschickt.

Übrigens bevorzugen die Strandkorbvermieter in den Bernsteinbädern die Nordseeform. Natürlich hätten sie beide Formen vorrätig, verraten Bartelt und Hengstler, aber die Nordseeform ist niedriger und handlicher, eignet sich als einzige Form zum Ganzlieger. „Und die Hauben können für eine bessere Lagerung ineinandergesteckt werden“, erklärt Robert Bartelt.

Kleiner Fun Fact zwischendurch: Wird beim Bau eines Strandkorbes die Haube – das ist das Oberteil – auf das Unterteil montiert, nennt man das: Hochzeit.

Wenn die Körbe ab Oktober so langsam von den Stränden verschwinden, beginnt für die Strandkorbvermieter die eigentliche Arbeit. Die Körbe werden auseinandergenommen, mit dem Hochdruckreiniger gesäubert, repariert und alle fünf Jahre neu gestrichen. „Bei guter Pflege hält ein guter Korb um die 15 Jahre“, weiß Robert Bartelt und rät jedem vom billigen Baumarktkorb ab. Bei denen sei das Material so schlecht, dass das Geflecht an den Ecken reißen würde und die Körbe schon nach zwei bis drei Jahren aussähen wie Igel.

Im trockenen Winterlager warten Körbe und Vermieter dann sehnsüchtig auf den Frühling. Denn dann beginnt die Strandkorbsaison von Neuem und an die Strände von Zempin, Koserow, Kölpinsee und Ückeritz zieht wieder geflochtene Gemütlichkeit und großes Urlaubsgefühl.

Text: Sandra Grüning – Textwerkstatt Küstenkind

Fotos: Henry Böhm – Usedomgalerie

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