Die Hidden Places der Bernsteinbäder

Wussten Sie, dass es auf Usedom eine Allee der Jahresbäume, einen Turm nur für Fledermäuse oder eine Kanzel gibt, die nicht in einer Kirche steht?

Hidden Places ist die neudeutsche Bezeichnung für solch stille und versteckte Insiderörtchen, die man und frau erst auf den zweiten Blick und schon gar nicht auf dem Mainstream der Besucherwege finden kann.

Auch in den Seebädern der Inselmitte, gibt es einige solcher spannenden Plätze zu entdecken. Die meisten von ihnen befinden sich, wie nicht anders zu erwarten, in der wunderschönen Natur rund um die Bernsteinbäder. Einige von ihnen sind Lost Places, die von längst vergangenen Zeiten zeugen und erzählen, andere sind wahre Schmuckstücke, die fernab des Strandtrubels für herrliche Erholung sorgen und wieder andere geben Einblicke in die vielfältige Natur der Insel.

Und genau in der steht eine Kanzel, die nicht für die Sonntagspredigt geschaffen wurde, sondern für einen Blick auf das Frosch- und Entenkonzert des Wockninsees. Der idyllische, kleine See befindet sich inmitten eines uralten Buchenwaldes zwischen dem Forstamt Neu Pudagla und dem Ückeritzer Campingplatz. Parkt man das Auto am Forstamt auf dem Waldparkplatz sind es bis zu dem kleinen Aussichtsturm nur ein paar hundert Meter auf der anderen Seite der Hauptstraße in den Wald hinein. Schilder mit einem grünen Schrägbalken weisen den Weg. Beschattet von den Kronen stattlicher Bäume schlängelt er sich an hohen Farnen vorbei bis zu besagter Kanzel. Die hölzerne Plattform erlaubt einen einzigartigen Ausblick auf den ansonsten rundum zugewachsenen, knapp 15 Meter tiefen Moorwassersee.

In und an ihm leben einige der seltensten Tier- und Pflanzenarten der Insel wie Sumpfschildkröten und Moorfrösche oder fleischfressende Pflanzen wie das Echte Fettkraut und der Sonnentau. Davon abgesehen vergnügen sich auf seiner Oberfläche auch Reiher, Haubentaucher oder anderes schillerndes Geflügel. Einfach mal die Augen schließen. Denn dann kann man sie hören, die vielen Geräusche – das Zirpen, Quaken und Zwitschern ringsum. Es ist wie ein kleines Konzert.

Wer anschließend noch nicht genug von der Natur und von Bäumen hat, kann ganz in der Nähe des Forstamtes auf der Allee der Jahresbäume spazieren gehen. Dazu gleich nach dem Abzweig zum Hafen Stagnieß den ersten Weg nach rechts in den Wald nehmen. Hier pflanzen die Schüler der Europäischen Gesamtschule Heringsdorf jedes Jahr einen Baum – und zwar den jeweiligen Baum des aktuellen Jahres. Begonnen haben sie damit im Jahr 1989. Seitdem kürt nämlich das "Kuratorium Baum des Jahres" jedes Jahr im Oktober eine Baumart zum Baum des Jahres. Inzwischen stehen an dieser Allee also schon 35 verschiedene Bäume. Darunter eine Stieleiche (1989), ein Speierling (1993), eine Wildbirne (1998) und auch eine Flatterulme (2019). Vor jedem Baum gibt eine Tafel über das jeweilige Gewächs Auskunft. Ein spannender und lehrreicher Weg, den sogar viele Einheimische nicht kennen.

Kommt man am Ende der Allee schließlich wieder aus dem Wald heraus, öffnet sich vor dem Wandernden eine weite Wiese mit Blick aufs glitzernde Achterwasser von Ückeritz. Und hier oben stehen rechter Hand zwei Bänke, die geradezu zum Entspannen und Verweilen einladen. Vor allem zum Sonnenuntergang wird es hier absolut romantisch. Denn, wenn sich die Sonne in den unglaublichsten Farben im Achterwasser zur Ruhe bettet, kommt man aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus.

Auch das kleine Fischerdörfchen Loddin, hat so manch verstecktes Örtchen zu bieten. So ist der Weg an der so genannten Melle, einem Seitenarm des Achterwassers unterhalb des Loddiner Höfts, ein Fleckchen Usedom, das wenig frequentiert für wunderbar ruhige Momente sorgt. Früher lag hier einmal ein Schiff der Fischereiaufsicht. Heute ist die kleine Ausbuchtung hauptsächlich von Seevögeln bevölkert, die es sich auf dem Wrack eines mitten in der Melle gesunkenen Fischerbootes gemütlich machen. Bei Niedrigwasser ist gerade das ein interessantes Fotomotiv.

Das Höft selbst ist längst kein Geheimtipp mehr. Viele wissen den idyllischen Ausblick, von dem 16 Meter hohen Steilufer zu schätzen. Doch die kleine Badestelle, die sich unterhalb des Kliffs befindet, ist kaum jemandem bekannt. Entweder kraxelt man einen ziemlich steilen und zugewachsenen Weg vom Höft bis zu der kleinen Badebucht hinunter. Oder man spaziert von Kiki’s Bootsverleih etwa einen halben Kilometer geradewegs am Schilfgürtel entlang bis zu dem versteckten Badeparadies.

Ein ebenso verstecktes Planschvergnügen können Naturliebhaber auch auf der anderen Seite des Fischerdorfes ebenfalls am Achterwasser genießen. Vom Loddiner Hafen aus führt auf dem Deich ein Weg bis nach Koserow. Hier gibt es etwa auf der Hälfte der Strecke eine kleine Bucht, die von Spaziergängern gern für eine kleine Erfrischung genutzt wird. Das Bernsteinbad Loddin kann eben nicht nur Ostsee.

Doch bevor man in die seichten Fluten steigt, sollte man sich bei dem unweit davon befindlichen Hochstand kurz mal die Zeit nehmen und in die Natur hineinlauschen. Vor allem, wenn sich der Tag seinem Ende neigt, ist hier ein lautstarkes Quakkonzert zu vernehmen. Inmitten des Schilfs liegt nämlich ein versteckter Tümpel, von den Loddinern Kösterkuhle oder Froschteich genannt. Vor 80 Jahren hat es diesen kleinen Teich noch nicht gegeben. An seiner Stelle gab es dagegen eine kleine Badestelle, die nach und nach mit Schilf zuwuchs und versandete. Mittlerweile ist die einstige Ausbuchtung ganz vom Achterwasser getrennt und hat sich zu einem Teich gemausert, in dem allabendlich die Froschmännchen den Angebeteten ihre Liebe um die Ohren quaken.

Auch ein Stückchen weiter, in Koserow, sind trotz der großen Seebadhighlights wie der schmucken Seebrücke, stille und kaum besuchte Orte zu finden. Da gibt es zum Beispiel Hedwigs dunkle Gasse. Mit Harry Potters Hedwig hat die allerdings so gar nichts zu tun. Der wunderbar schattige Hohlweg, der sich zwischen dem Strand und dem Koserower Deich unmittelbar an der Düne entlang schlängelt, soll vielmehr den heimlichen Liebestreffen zwischen einem verheirateten Koserower und seiner Geliebten namens Hedwig gedient haben. Die Naturgasse beginnt direkt hinter den Koserower Salzhütten und endet kurz vor dem Seebad Zempin. Ein schöner Spazierweg abseits des im Sommer oft viel befahrenen und belaufenen Deiches.

Ein ganz besonderer Turm steht in Koserow übrigens am anderen Ende des Dorfes am Übergang zum Küstenwald nach Loddin. Am Rande der Feriensiedlung „Am Küstenwald“ ragt er knapp sieben Meter in die Höhe. Ganz oben unter dem Dach hängen viele, kleine Kästen mit schmalen Schlitzen an der Unterseite. Der Turm ist – laut Auskunft des Usedomer Forstamtes – fest in Fledermaushand. In vielen Gegenden wurden ausgediente Trafohäuschen zu solchen Fledermausheimen umgenutzt. Da diese Artenschutzmaßnahmen erfolgreich waren, wurde hier am stillen Waldrand von Koserow für die Fledermäuse sogar ein eigener Turm gebaut. Den Sommer verbringen Fledermausarten, die gerne in Gebäuden wohnen wie Mücken-, Rauhaut- oder Breitflügelfledermäuse, in eben jenen angebrachten Flachkästen, in die sie von unten hineinkrabbeln können. Im Winter verkriechen sich die Tierchen ins wärmere Turminnere.

Geschichte hat die Insel Usedom zuhauf zu bieten. Leider auch solche, die vom Krieg erzählt. Überall in den Wäldern sind davon noch stille und zum Teil schon von der Natur zurück eroberte Zeugen anzutreffen. Ganz oben auf dem Koserower Streckelsberg zum Beispiel hatte es in den 1930er Jahren einen Beobachtungsturm der Wehrmacht gegeben. Er gewährte einen weiten Blick über den Luftraum von Swinemünde. Außerdem wurden auf ihm auch Messwerte der V2-Raketentests der Peenemünder Heeresversuchsanstalten aufgenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sprengte man den Turm. Übrig blieben ein paar Betonreste, die erst 1997 vollkommen abgetragen wurden und heute in der Brandungsmauer am Fuße der Steilküste verarbeitet sind. Ein Schild und eine Aussichtsplattform mit einem kleinen Gipfelbuch zeugen von diesem Messturm.

Kaum noch zu erkennen unter dem moosbewachsenen Waldboden, sind am Küstenradweg im Zempiner Wald Richtung Zinnowitz die Überreste einer Abschussrampe für eine V2-Kurzstreckenrakete erhalten geblieben. Einst hatte die sechs Grad steile Startrampe eine Länge von 48 Metern. Heute ragen nur noch ein paar verrostete Stahlgeleise in den lauschigen Kiefernwald. Ein Lost Place, den sich Blumen inzwischen als Zuhause erkoren haben. Infotafeln berichten vor Ort von der grausigen Geschichte um die Nazi-Vergeltungswaffe.

Doch zum Abschluss noch ein lauschig idyllischer Hidden Place: Die alte Räucherei von Zempin. Hierhin gelangt man, wenn man der Zempiner Peenestraße, die hinter der Feuerwehr von der Fischerstraße nach links abbiegt, bis zu ihrem Ende fährt. Vorbei an alten und neuen Reetdachhäusern befindet man sich hier im Zentrum des alten Fischerdorfes. Der schwarze Holzturm, der noch bis 1946 als Rauchfang zum Fischräuchern von der Familie Krüger genutzt wurde, ist schon von weitem zu erkennen. Räucherflundern und Räucherheringe, die Bücklinge, wurden hier haltbar gemacht und anschließend in Rhabarberblätter gewickelt sogar mit der Post verschickt. Heute ist die alte Räucherei ein schickes Ferienhaus.

Geht man den Feldweg weiter, der an der Räucherei vorbeiführt, befindet man sich nach nur wenigen Minuten wieder mittendrin in der wunderschönen und stillen Natur der Inselmitte. Über die weite Wiesenlandschaft lässt es sich wunderbar bis zum Achterwasserdeich zwischen dem Zempiner Hafen und dem Atelier von Otto Niemeyer-Holstein wandern. Nur selten trifft man auf einen Spaziergänger. Kurz vor dem Deich führt an einer uralten Weide eine kleine Holzbrücke über einen Wassergraben. Kaum jemand kennt sie. Doch durch ihre malerische Stimmung schenkt sie dem Ruhesuchenden prompt ein bisschen inneren Frieden.

Text: Sandra Grüning – Textwerkstatt Küstenkind

Fotos: Henry Böhm – Usedomgalerie

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