Teil 08

Ortswanderung

Transkript

Zug rollt ein, hält an, Bremsgeräusche, die Türen öffnen sich

„Ah, gut, jetzt sind wir in Ückeritz angekommen. Ich bin echt mal gespannt, ob Niemeyer-Holstein uns empfängt.“
„Klar, ich hab doch mit ihm telefoniert. Wulff hat auch gesagt, dass er schwer in Ordnung ist.“
„Wulff? Wer ist das denn?“
„Nun werd mal nicht gleich eifersüchtig. Das ist der neue Meisterschüler bei Hans-Theo Richter. Er ist diesen Sommer zu uns an die Akademie der Künste gekommen. Davor hat er selbst zehn Jahre hier auf der Insel gelebt. Er meinte, dass Niemeyer, also er nennt ihn natürlich Otto, uns sicher empfängt. Er hat mir auch seine Nummer gegeben. Niemeyer schien sich freuen, dass wir seine Gemälde sehen wollen.
„Oh, ich finde seine Bilder richtig gut. Vor allem die Porträts. Er hat mal Helene Weigel gemalt ein paar Jahre nach dem Tod von Bert Brecht. Ihr Blick ist so intensiv, man spürt richtig ihre Trauer.“
„Ich finde auch, dass er viel zu lange nicht genug beachtet wurde. Er malt ja schon seit Jahrzehnten. Wusstest du, dass er erst nach dem Krieg seine Werke öffentlich ausgestellt hat?“
„Nein, das war mir gar nicht klar.“
„Ja, nach und nach ist er jetzt populärer geworden und dieses Jahr auch noch Mitglied der Akademie der Künste.“
„Ach, er wohnt schon lange hier in, Ückeritz, oder?“
„Ja, ich glaube mindestens seit fünfunddreißig Jahren. Wulff hat mir erzählt, dass er wohl früher in einem ausrangierten Eisenbahnwaggon wohnte. Den hatte er extra aus Berlin herschaffen lassen. Hier ist in den dreißiger Jahren eine richtig kleine Künstlerkolonie entstanden in der Waldstraße. Heute lebt Niemeyer aber außerhalb von Ückeritz,  in Lüttenort. Ist anscheinend die schmalste Stelle der Insel.“
„Och, na gut, dann werden wir wohl dahin laufen müssen.“
„Ach, bleib locker. Am Telefon meinte Niemeyer, dass er uns ein leckeres Abendessen macht, sobald wir ankommen. Vielleicht haben wir ja Glück. Es soll hier vor Ort richtig guten Räucherfisch geben.“
„Mmhh.“

Schritte ….